Drei Fragen an ...
Wissenschaftler:innen und Studierende am Centrum für Jüdische Studien
Dr. Susanne Korbel (Projektleiterin)
Zu welcher Thematik forschen Sie gerade am Centrum?
Ich untersuche persönliche Begegnungen zwischen Jüd:innen und Nichtjüd:innen in Budapest und Wien um 1900. Ich erforsche vielfältige Kontaktszenairen in "privaten" Räumen des täglichen Lebens: In Wohn- und Schlafräumen (u.a. Wohngemeinschaften mit Bettgeher:innen und Untermieter:innen, Hausangestellte, die in den Haushalten für die sie arbeiteten auch lebten), während der Heimarbeit (Produktion von Fabrikwaren in Privatwohnungen in Produktionsgemeinschaften) oder etwa auch in Zwangsunterbringungen (Räume des erzwungenen Wohnens, auf die der Staat Zugriff hatte, wie z.B. Gefängnisse und Erziehungsanstalten, sowie Einrichtungen für Menschen mit Behinderung). Ziel ist es, Wohn- und Arbeitsstätten in Budapest und Wien als Räume zu untersuchen, die Jüd:innen und Nichtjüd:innen in ihrer historischen Vergangenheit verbanden. Wo und wie kam man in Budapest und Wien um 1900 in "privaten" Räumen miteinander in Kontakt? Welche Kontakte gab es zwischen Jüd:innen und Nichtjüd:innen außerhalb öffentlicher Orte? Welche Bereiche des täglichen Lebens lassen sich als Räume für jüdische-nichtjüdische Interaktionen und interethnischen Austausch definieren? Welche Auswirkungen hatten derartige tägliche Begegnungen auf Vorurteile?
Das alles erforsche ich im FWF Projekt Entanglements of Jews and non-Jews in Private Spaces in Central Europe: Budapest and Vienna, 1900–1930 (FWF Esprit 120).
Sie arbeiten schon länger am Centrum für Jüdische Studien. Was macht für Sie das Besondere dieser wissenschaftlichen Einrichtung aus?
Das Centrum für Jüdische Studien an der Universität Graz bietet eine großartige Infrastruktur zur Anbindung der eigenen Forschung und ein reges Umfeld für Austausch mit Kolleg:innen aller Fachrichtungen und interessierten Studierenden. Das produktive Klima hilft mir bei der Entwicklung neuer Ideen. Besonders schätze ich die Möglichkeit mich mit Ideen in die Entwicklung des Centrums und meine Schwerpunkte in das Lehrangebot einbringen zu können.
Welche Bedeutung haben Jüdische Studien in der heutigen Zeit?
Jüdische Studien bieten meines Erachtens eine hervorragende Grundlage um unsere gegenwärtige gesellschaftlichen Verhältnisse verstehen und besser einordnen zu können. Wir leben im globalen Austausch. Plurikulturelle Gesellschaften, Migrationen und vielschichtiges gelebtes Miteinander sind heute wie auch in der historischen Vergangenheit allgegenwärtig. Die Linse durch die Jüdischen Studien auf jüdische Kulturen und Geschichte eröffnet unzählige spannende und augenöffnende Vergleiche. Das finde ich insbesondere hinsichtlich der sich radikalisierenden globalen Politik und Kriegshandlungen in Europa, im Nahen Osten und anderen Regionen ebenso von besonderer politischer Bedeutung.