Drei Fragen an ...
Wissenschaftler:innen und Studierende am Centrum für Jüdische Studien
Olaf Terpitz (Senior Scientist)
Sie befassen sich insbesondere mit europäisch-jüdischer Literatur und Russisch als einer jüdischen Sprache. Was macht eine jüdische Sprachkultur aus? Was kann man sich darunter vorstellen?
Seit der jüdischen Aufklärung, der Haskala, die sich ab dem späten 18. Jahrhundert in Europa entfaltete und auf eine Öffnung der jüdischen Welt und zugleich die Emanzipation der jüdischen Bevölkerung abzielte, entstanden für die jüdische Literatur ganz neue Möglichkeiten, was Themen, Motive, Interaktionen mit anderen Literaturen anbelangte. Ebenso betraf dies die Sprache – moderne jüdische Literatur wurde nun in verschiedensten Sprachen verfasst, sei es weiterhin auf Hebräisch, Jiddisch oder Ladino, oder aber sei es nunmehr auch auf Deutsch, Russisch, Polnisch oder Englisch. Die Sprachwahl berührte und berührt damit Prozesse von Wahrnehmung, von Wechselbeziehungen, von Übersetzung und Migration etc., wie sie uns ganz aktuell in der Auseinandersetzung mit globaler werdenden Gesellschaften begegnen. In der jüdischen Sprachkultur verschränken sich so gesellschaftliche, historische, kulturelle Entwicklungen, Herausforderungen und Fragestellungen.
Welchen Roman bzw. welche:n Autor:in würden Sie immer sofort empfehlen, wenn Sie nach einem guten Einstieg in die europäisch-jüdische Literatur gefragt werden?
Oh, da gibt es eine Reihe von Autor:innen, die ich gern nennen möchte. Blicken wir zunächst nach Österreich: da wären auf jeden Fall so unterschiedliche Autor:innen zu nennen wie Joseph Roth (er wurde im galizischen Teil der Doppelmonarchie geboren und beschrieb in Romanen wie „Kapuzinergruft“ deren Untergang), der aus Prag stammende Leo Perutz (der der Figur des Rabbi Löw zu Zeiten Rudolf II. ein literarisches Denkmal setzte in „Nachts unter der steinernen Brücke“), Friedrich Torberg, der in seiner „Tante Jolesch“ (selbst-)ironisch Anekdoten über „wunderliche Käuze“ der Doppelmonarchie versammelte, oder ganz aktuell Vladimir Vertlib und Julya Rabinowich, und selbstverständlich nicht zuletzt Franz Kafka. Wenn wir weiter schauen in Europa und der Welt, zeigt sich ein vielfältiges Schaffen in verschiedensten Sprachen. Der Roman des israelischen Schriftstellers Amos Oz „Eine Geschichte von Licht und Finsternis“ aber mag die europäisch-jüdische Literatur insbesondere gut konturieren: Angelegt als Autobiografie, als Biografie seiner Familie und zugleich des Staates Israel beschreibt Oz unter anderem seinen Onkel David, der in Wilna, dem heutigen Vilnius, in der Zwischenkriegszeit eine Professur für Literatur innehatte, als „überzeugten Europäer“, für den „die Literaturen Europas seine geistige Heimat [waren]“. Der Zivilisationsbruch der Shoah bereitete dem ein Ende.
Sie leiten in diesem Semester ein Seminar über Humor in jüdischen Literaturen und Kulturen. Was sind typische Merkmale eines jüdischen Humors?
Humor ist individuell, ist aber auch gruppenorientiert und vor allem gebunden an einen zeitlichen und kulturellen Kontext. Die Frage ist, wer versteht die entsprechenden Anspielungen? Wie vermittle ich Studierenden, dass jüdischer Humor, der aus dem osteuropäische Shtetl über die Metropolen Europas (wie die Kabarettisten Fritz Muliar oder Fritz Grünbaum) nach Amerika (die Sitcom „The Nanny“) oder Israel (mit Ephraim Kishons Satiren oder der Netflix-Serie „The Marvelous Mrs. Maisel“) gelangt ist, gebunden ist an jeweilige Lebensrealitäten und -verständnisse? Über jüdischen Humor wurde viel geschrieben in den letzten Jahrzehnten. Die selbstironische und -kritische Auseinandersetzung mit der Welt, mit ihren Konflikten scheint dabei ein zentrales Moment, wie sie in dem Bonmot von Golda Meir aufscheint: „Mach dich nicht so klein, du bist nicht so groß“.