Demokratie als Lebensform.
Vortrag von Till van Rahden, Universität Montréal
Donnerstag, 12. Juni 2025 |18.30 Uhr
Museum für Geschichte, Sackstraße 16, 8010 Graz
Statt darauf zu starren, wie Demokratien sterben, konzentriert sich der Vortrag darauf, was sie am Leben erhält. Er knüpft an die verbreitete Krisendiagnose an, ohne sich der Verzweiflung zu überlassen. Wer über die Gefährdung der Demokratie redet, kann die Lust am Untergang pflegen oder nach Wegen suchen, wie die Demokratie ihre Fassung bewahrt. Wer so fragt, erinnert zugleich daran, dass die Demokratie eine fragile Ordnung ist, die ohne sorgfältige Pflege „in der Luft“ hängt. Sie erschöpft sich nicht im Gang zur Wahlurne, in Parteiarbeit, in Parlamentsdebatten oder im Mit- und Gegeneinander der drei Gewalten. Wie in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts öffnet auch heute die Diagnose ihrer Krise den Blick dafür, dass Demokratie nichts weniger ist als eine Lebensform. Der Begriff der Demokratie als Lebensform beansprucht keine analytische Präzision, sondern dient als störrischer Reisebegleiter bei der Suche nach den Voraussetzungen der pluralistischen Demokratie. Damit öffnet sich der Blick für ihre kulturellen und sozialen Grundlagen. Dieses Thema begleitet die moderne Demokratie seit ihrer Geburt im 17. und 18. Jahrhundert und prägt dann besonders die öffentliche Diskussion der späten vierziger und fünfziger Jahre. In der Erinnerung an diese Debatten blitzt ein Gespür dafür auf, dass wir die Demokratie als Herrschafts- und als Lebensform ausprobieren, immer wieder neu entwerfen und einüben müssen. Der Ausgang des Experiments ist offen. Die Einsicht, dass die Demokratie notwendigerweise gefährdet ist, läuft ins Leere, wenn sie nicht ein Nachdenken darüber provoziert, was die Demokratie am Leben erhält.
Till van Rahden ist Professor für Deutschland- und Europastudien an der Université de Montréal und Non-Resident Senior Fellow am Forschungskolleg Humanwissenschaften in Bad Homburg. Ausgewählte neuere Publikationen: Demokratie. Eine gefährdete Lebensform (Frankfurt/M. 2019), Horizonte der Demokratie. Offene Lebensformen
nach Walt Whitman (Bielefeld, 2024) und Vielheit. Jüdische Geschichte und die Ambivalenzen des Universalismus (Hamburg 2022).
Eine Veranstaltung von CLIO, dem Centrum für Jüdische Studien der Universität Graz, ERINNERN:AT und Museum für Geschichte im Rahmen der Tagung: Entnazifizierung und Demokratisierung. Die Steiermark am Weg zur Zweiten Republik